Adoptivkinder

 

Eines ist sicher: Adoptivkinder sind hundertprozentige Wunschkinder. Dafür haben sie aber oft mit mehr Problemen zu kämpfen als leibliche Kinder. Umso wichtiger ist es, ihnen genügend Selbstbewusstsein zu vermitteln, meinen drei Adoptivelternpaare.

 

©FABIENNE PIRSCH / TELECRAN

 

Wie aus zwei Kindern plötzlich vier werden können, haben Diane und Alain Heck aus Warken am eigenen Leib erlebt: Nachdem sie vor einigen Jahren den damals zweijährigen Nino aus Peru adoptiert und ein Jahr später die kleine Leeza aus Vietnam in ihre Kleinfamilie aufgenommen haben, wuchs in ihnen der Wunsch, einem weiteren Kind ein Heim zu verschaffen. Nach einigen Monaten Wartezeit informierte die Vermittlungsagentur das Paar darüber, dass nicht nur ein kleines Mädchen aus Madagaskar zur Adoption freigegeben worden sei, sondern gleich zwei Schwestern.

 

Für Familie Heck stand gleich fest: „Wir hatten noch viel Liebe zu vergeben und genügend Platz im Haus. Die Umstände hätten also kaum besser für die Adoption sein können!“ Und auch Nino ist mächtig stolz auf seine drei kleinen Schwestern! Dass sich die Leute auf der Straße schon mal nach der sechsköpfigen, multikulturellen Familie umsehen, wundert nicht – zumal die Kleinen nicht gerade schüchtern sind und jeden grüßen, den sie sehen. „Wir fallen natürlich überall auf, weil wir so zahlreich sind. Im Allgemeinen glaube ich aber, dass Adoptivkinder in Luxemburg kein Tabuthema mehr sind. Die Gesellschaft akzeptiert es immer mehr“, sagt Diane Heck lächelnd und hebt ihre schwarze Tochter Naomi hoch, während Schwesterchen Lateesha ihren Teddy drückt.

 

 150 Anträge pro Jahr

 

Dieser Meinung sind auch Josiane und Roger Lethal, die vor anderthalb Jahren den kleinen Joshua aus Südkorea bei sich aufgenommen haben. „Für uns war von Anfang an klar, dass wir ein Kind adoptieren würden, falls wir keine eigenen Kinder bekommen könnten. Joshi sieht zwar anders aus als wir, aber wir glauben nicht, dass er in Luxemburg wegen seiner Hautfarbe einmal Probleme haben wird. Wir merken den Unterschied schon gar nicht mehr“, erklärt die stolze Mutter. Und wenn sie auf der Straße nach der Herkunft des kleinen Joshua gefragt wird, antwortet sie instinktiv: „Er kommt aus Wormeldingen.“ Joshi ist da anderer Ansicht und meint: „Koreeea!“

 

In Luxemburg werden pro Jahr ungefähr 150 Anträge von Paaren gestellt, die ein Kind adoptieren wollen. Im letzten Jahr konnten um die 45 Kinder vermittelt werden. Dass auf ein Kind, das zur Adoption freigegeben wird, weltweit schätzungsweise 50 Adoptionsanträge kommen, macht die oft langen Wartezeiten verständlich. „Zwischen dem Zeitpunkt, an dem die Adoptionsprozedur begann und der Ankunft von Joshua sind gerade einmal viereinhalbe Monate vergangen. Das ist eine Ausnahme, denn die Vermittlungsstelle hatte uns eine Wartezeit von acht bis neun Monaten angegeben“, meint Roger Lethal. Bei Adoptionen von Kindern aus anderen Ländern, wie zum Beispiel Rumänien, Peru oder Vietnam müssen sich Paare in der Regel zwischen ein und zwei Jahren gedulden. Bei luxemburgischen Kindern liegt die Wartezeit sogar bei fünf bis sechs Jahren, da sie nur selten zur Adoption freigegeben werden.

 

Reise oder Flughafengeburt?

 

Eine der wichtigsten Entscheidungen bei einer Adoption ist wohl die Wahl des Herkunftslandes des Adoptivkindes. „Es gibt immer ein Land, zu dem man sich eher hingezogen fühlt als zu anderen. Aber bei der Wahl der Herkunft spielen eine Reihe anderer Kriterien auch eine Rolle. Für uns war wichtig, dass wir in das Land unseres Kindes reisen konnten, um unsere Tochter abzuholen“, erinnert sich Pascale Peters, die seit der Adoption ihrer ältesten Tochter Monika aus Peru selbst für den Vermittlungsdienst „Luxembourg-Pérou“ tätig ist. Auch für die Adoption ihrer zweiten Tochter Milena reisten sie und ihr Mann, der die Präsidentschaft der Vereinigung übernommen hat, nach Peru und weilten dort einige Wochen mit ihren Töchtern, bis die Adoption rechtskräftig war.

 

Für Josiane und Roger Lethal wäre eine lange Reise problematisch gewesen. Sie haben sich deswegen mit einer Vermittlungsstelle in Verbindung gesetzt, die die Kinder mit Begleitern nach Luxemburg bringt. „Wir haben Joshua am Flughafen in Empfang genommen. Viele schreckt eine solche ,Flughafengeburt’ ab. Aber als man mir meinen Sohn in den Arm gelegt hat, habe ich alles um mich herum vergessen“, schwärmt die Mutter. Die Bedingungen, die die Adoptiveltern erfüllen müssen, variieren von Land zu Land. So kann auch die Dauer der Ehe ausschlaggebend für die Wahl eines Herkunftslandes sein. Verschiedene Länder setzen den Antragstellern auch eine Altersgrenze.

 

 Auf Elternfähigkeit getestet

 

Was viele Paare als unangenehm empfinden, ist die eigentliche Adoptionsprozedur. Die Vermittlungsstelle muss eine Adoptionsakte der Eltern erstellen, und das bedeutet im Klartext: Formulare organisieren, Fragebögen ausfüllen und Gespräche mit Psychologen und Sozialarbeitern führen. „Die Gespräche dienen dazu, einen psychologischen und sozialen Bericht anzufertigen. Wir ermitteln dadurch, ob das Paar eine feste Beziehung führt und ob beide Partner die Adoption wirklich wollen“, erklärt die Sozialarbeiterin Thérèse Cloos-Wagener vom Luxemburger Roten Kreuz. Auf der anderen Seite würde der Fragebogen dem Paar die Gelegenheit geben, sich gemeinsam auf weitere Gespräche vorzubereiten. Die Experten gehen bei diesen Gesprächen zum Beispiel auf die Beziehung ein, die Gründe für die Adoption, die Kindheit der Paare, ihre finanzielle und gesundheitliche Lage sowie ihre Erziehungsvorstellungen und den Umgang mit dem Thema „Adoption“ im Alltag.

 

Nicht selten hört die Sozialarbeiterin von den Antragstellern den Vorwurf, dass diese langwierige Prozedur ungerecht sei, da biologische Eltern auch nicht auf ihre Elternfähigkeit getestet würden, bevor sie ein Kind in die Welt setzen. „Wir dürfen eines nicht vergessen: Die Kinder, die zur Adoption bestimmt sind, wurden bereits einmal von ihren Eltern freigegeben oder verlassen. Sie haben Schlimmes hinter sich und kommen ins Heim, womit die Allgemeinheit für sie verantwortlich wird. Es ist also an uns, stabile Familien zu finden, um den Kindern eine sichere Zukunft zu bieten. Es ist ihre letzte Chance, in geregelten Familienverhältnissen aufzuwachsen. Eine vollständige Adoption ist unwiderrufbar“, verteidigt Thérèse Cloos die intensive Befragung. 

 

Abgelehnt werden erfahrungsgemäß nur wenige Anträge, weil die meisten Paare durch die Gespräche selber merken, ob sie für eine Adoption bereit sind oder nicht. „Wenn ein Partner die Adoption wirklich will und der andere nur halbherzig mitmacht oder sogar vom anderen unter Druck gesetzt wird, dann lehnen wir den Antrag ab. Die Beziehung würde der Belastung einer Adoption nicht standhalten“, versichert die Sozialarbeiterin Alice Reiland-Helbach vom Roten Kreuz. Auch wenn die Adoption nicht im Interesse des Kindes sei, würde der Antrag abgelehnt.

 

Sind Adoptivkinder Problemkinder?

 

„Es muss den Eltern bewusst sein, dass es an erster Stelle um Eltern für das Kind geht und nicht um Kinder für Eltern“, betont Adoptivmutter Diane Heck. Für Pascale Peters stand von vornherein fest, dass eine Adoption immer etwas Gegenseitiges sei: „Wir helfen den Kindern, die ohne uns keine rosige Zukunft gehabt hätten und sie helfen uns, weil sie einfach bei uns sind. Wir erwarten dafür nicht besonders viel Dank von ihnen. Es sind einfach unsere Kinder.“ Vorbereitet werden die Paare auf die Adoption ausschließlich durch die Fragen der Psychologen und Sozialarbeiter. Kurse, in denen die Adoptiveltern auf die Probleme einer Adoption aufmerksam gemacht würden, gibt es derzeit keine hierzulande, was Thérèse Cloos und Alice Reiland ein wenig bedauern. „Ein Adoptivkind ist einfach eine größere Belastung für ein Paar als ein biologisches Kind“, stellt Thérèse Cloos fest: „Die Kinder, die aus Heimen kommen, haben häufig wenig Aufmerksamkeit und Liebe bekommen. Sie haben öfters Essprobleme, weil sie andere Ernährungsgewohnheiten hatten. Sie können Schlafprobleme haben, weil sie sich in ihrer neuen Umgebung erst zurechtfinden müssen. Sie haben Angst und sind verunsichert.“

 

Über die allgemeine Meinung, Adoptivkinder würden, wenn sie älter werden, immer zu Problemkindern werden, meint Sozialarbeiterin Alice Reiland: „Durch die schlimmen Erfahrungen haben Adoptivkinder mehr Probleme. Häufig haben sie Schwierigkeiten, sich in der Schule zu konzentrieren. Sie erleben ihre Pubertät viel intensiver, weil ihnen irgendwann bewusst wird, dass sie verlassen worden sind. Sie stellen sich Fragen nach ihrer Herkunft, die die Eltern nicht immer beantworten können. Das kann zu Familienkrisen führen." Das größte Problem sei aber nach wie vor die Integration des Kindes in der Familie, so Alice Reiland weiter: „Die Kinder werden durch ihr Aussehen ständig nach ihrer Herkunft gefragt. Wenn die Familie das Kind selbst nicht so akzeptiert, wie es ist, dann zerbricht sie an möglichen Feindseligkeiten von außen.“

 

Suche nach den biologischen Eltern

 

Dass von Joshua irgendwann Fragen über seine Herkunft kommen, stellt für seine Eltern kein Problem dar. „Wir wollen unser Kind zu einem selbständigen Menschen erziehen, der mit dem Problem des Anderssein klarkommt und stolz darauf ist. Außerdem reden wir mit ihm über seine Adoption und seine „Korea-Mama“. Er weiß, wo er herkommt, auch wenn er es noch nicht richtig begreift. Später möchten wir unbedingt mit ihm nach Korea reisen“, erklärt Josiane Lethal. Wichtig ist ihr, dass der kleine Junge auch von der Familie, ganz besonders vom Opa, gleich akzeptiert worden ist. Peru, Vietnam und Madagaskar sind auch bei Familie Heck ein alltägliches Thema: „Nino, Leeza, Naomi und Lateesha sind Luxemburger, aber ihre Wurzeln sind in einem anderen Land. Wir tun alles, um ihnen diese Wurzeln zu erhalten. Es ist nämlich wichtig, dass sie ihre Herkunft akzeptieren, um zu selbstbewussten Erwachsenen heran zu wachsen. Sollten sie einmal nach ihren biologischen Eltern suchen wollen, werden wir sie dabei unterstützen.“, sagt Diane Heck fest entschlossen. Auch über die biologischen Mütter würde häufig gesprochen, aber niemals schlecht. Schließlich hätten diese Frauen Gründe gehabt, ihre Kinder zur Adoption freizugeben und deren Leid habe einer anderen Familie zu ihrem Glück verholfen: „Es wird bei uns über alles geredet. Ich glaube, dass die Kinder dadurch fester in ihrer Persönlichkeit werden. Wenn sie später alles wissen, ist das Verlangen zu suchen nicht so groß!“ Besonders gefreut hat sich Diane Heck, als Ninos Lehrerin die Adoption in der Schule als Thema behandelt hat. Nino selber kann sich nur noch vage an den Flug nach Luxemburg erinnern.

 

Die Suche nach den biologischen Eltern wird auch von den Mitarbeitern des Roten Kreuzes unterstützt. „Wir helfen, wenn wir können. Für die Kinder ist es eine Erleichterung, wenn die Ungewissheit weg ist. Allerdings kann das Wiedersehen auch häufig eine große Enttäuschung sein, weil die Mutter nicht notwendigerweise dem positiven Bild entspricht, das das Kind von ihr hatte“, warnt Thérèse Cloos. Den Adoptiveltern raten die beiden Sozialarbeiterinnen des Roten Kreuzes, von Anfang an mit den Kindern offen über die Adoption zu reden und auch Fotoalben über die Reise oder die Ankunft der Kinder anzulegen, um sie ihnen später zeigen zu können. An Fotos mangelt es bei den Familien Lethal, Heck und Peters wahrlich nicht.

 

Welchen Rat gibt eine Mutter von vier adoptierten Kindern an junge adoptionswillige Paare? „Wenn ihr die Möglichkeit habt, dann tut es, denn es ist wunderbar“, sagt Diane Heck spontan: „Man sollte sich vorher genau informieren und sich auf keinen Fall durch andere verunsichern lassen!“ Für Diane und Alain Heck hat von vornherein festgestanden: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!